Die Pädagogik – Grundzüge der Waldorfpädagogik
„Die Waldorfschulpädagogik ist eigentlich überhaupt kein pädagogisches System,
sondern eine Kunst, um dasjenige, was da im Menschen ist, aufzuwecken.“
Rudolf Steiner
Ausgehend vom Blick auf das Kind und den Menschen ist die Waldorfpädagogik eine Methodenpädagogik und nutzt dabei, dass die Waldorfschule frei in ihrer inneren Gestaltung ist. Gewisse Grundzüge und Ansätze werden hier im Folgenden kurz beschrieben. Wie und wann diese Ansätze genau eingesetzt werden, zeigen dann die Besonderheiten der Schule und das Fächer- und Unterrichtsangebot.
Alle zusammen – gegenseitig befruchtend
Die Waldorfpädagogik steht für eine gemeinsame Bildung aller Kinder, unabhängig von sozialer Herkunft, Begabung und späterem Beruf. Damit ersetzt die Waldorfschule als wirkliche Gesamtschule das verbreitete Prinzip der Auslese der staatlichen Schulen durch eine Pädagogik der Förderung. Dabei wirkt die Vielfalt der Begabungen der Schüler gegenseitig eher befruchtend als behindernd und hat sich an den Waldorfschulen äußerst bewährt. Das soziale Miteinander von Schülern unterschiedlicher Begabung ist außerdem lebensnaher als ein notenorientiertes Lernen von Schülern.
Entwicklungsorientiert – alles zu seiner Zeit
Ein grundlegendes Element der Waldorfpädagogik ist der entwicklungsorientierte Lehrplan, der auf den Entwicklungsstufen des Kindes basiert – dem inneren Bedürfnis des jeweiligen Lebensalters folgend. Die Unterrichtsinhalte und -methoden werden auf die Abläufe kindlichen Lernens und die Stufen menschlicher Entfaltung in Kindheit und Jugend abgestimmt. Mit dem Erreichen des Schulzieles in der 12. Klasse ist die Entwicklung der Ich-Kraft, der Persönlichkeit, in die freie Verantwortung des Heranwachsenden gestellt.
Aufgrund dieses entwicklungsorientierten Lehrplanes ist in der Waldorfpädagogik ein stabiler Klassenzusammenhalt aller Schüler von der 1. bis Ende der 12. Klasse vorgesehen. Ein Sitzenbleiben gibt es nicht, da dies den Schüler in eine Klasse mit nicht altersgemäßen Ansätzen zwingen würde. Wer als Erstklässler in die Schule eintritt, kann sie ohne einen Bruch bis zur 12. Klasse besuchen.
Der ganze Mensch im Blick – Eine Pädagogik für Kopf, Herz und Hand.
Innerhalb dieser festen Entwicklungsstufen sieht die Waldorfpädagogik eine ausgewogene Ansprache von Körper, Geist und Seele des Kindes als unabdingbar, da sie sich gegenseitig in unterschiedlicher Form bedingen und unterstützen. Bildlich spricht man dann von Kopf, Herz und Hand, die alle angesprochen werden müssen. Dies kann jeder an sich selbst erleben oder mit Blick in die Welt recht leicht .
Ein intensives Beispiel unserer Zeit findet sich rund um den Begriff „Burnout“. Egal was für eine Ausbildung man hat oder wieviel Wissen vorhanden ist – Menschen, die mit Formen von Burnout betroffen sind, können in dieser Phase nicht wirklich am sozialen Leben teilnehmen, arbeiten und auch nicht Lernen oder sich weiterentwickeln. Dieses Extrembeispiel zeigt sehr deutlich, wie sich Körper, Geist und Seele gegenseitig bedingen. Dies finden sich auch in ganz unterschiedlicher und abgeschwächter Form wieder: Ist man nicht ausgeschlafen, fühlt man innere Unruhe, macht man sich Sorgen, …
Kopf, Herz und Hand wirken aber auch wechselseitig unterstützend. Die Arbeit mit den Händen schult die feinmotorischen Fähigkeiten. Dabei nehmen Konzentration und Wachheit zu. Die erworbene Fingerfertigkeit wirkt auf die gesamte Entwicklung: mit jeder feinen Bewegung formt sich das Gehirn weiter aus. Je geschickter die Kinder ihre Finger bewegen, desto lebendiger entfalten sich ihre Gedanken und ihre Vorstellungskraft.
Die Waldorfpädagogik reagiert hier mit einem breiten, gleichberechtigten Fächerangebot und auch innerhalb der einzelnen Fächer mit Unterrichtsinhalten und -methoden, die die unterschiedlichen Bereiche des Kindes gleichermaßen – jedes zu seiner Zeit – ansprechen.
Individuell
Auch wenn jedes Kind dieselben Entwicklungsstufen durchläuft, so ist doch jedes Kind einzigartig und muss daher auf ganz individuelle Weise unterstützt werden, um seine besonderen Fähigkeiten zu entfalten. Daher möchte die Waldorfpädagogik einen Lebens- und Lernraum bilden, der genau diese Möglichkeiten bietet.
Da die Schüler durchgängig von der 1. bis zur 12. Klasse die Schule besuchen, kann dem Schüler mehr Zeit für die Entwicklung nach seinem eigenen Tempo gegeben werden. Der Klassenlehrer, der die Schüler einmal in der Unterstufe von der 1. bis zur 5. Klasse und einmal in der Mittelstufe von der 6. bis zur 8. Klasse eng begleitet, steht für gelebte Kontinuität in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Auf Basis dieser Beziehung und mit dieser Kontinuität wird auf den individuellen Schüler intensiver eingegangen. So kann beispielsweise Raum für Wärme, Sicherheit, Geborgenheit, Neugier, Mut, Humor, aber auch Widerstand und Reibung entstehen. Das eigene Tempo und die individuelle Ansprache verlangen eine individuelle Beurteilung im Zeugnis, die gerade auf der Situation des Schülers aufbaut und dessen Lernfortschritt zeigt und würdigt. Aus diesem Grund wird auf Notenzeugnisse bis zur Oberstufe verzichtet.
Rhythmus
Rhythmus steht für wiederkehrend und für schwingen – wie eine fortwährende Pendelbewegung. Rhythmus findet sich überall: Im Leben – im geordneten Schlafen-Wachen-Wechsel, in der Siebentagewoche wie auch in den Jahreszeiten. Im menschlichen Körper – in der Atmung und Blutzirkulation. Das hat auch seinen Grund: Der Rhythmus gibt einerseits Ordnung und Orientierung. Man weiß, was einen erwartet – was als Nächstes kommt. Andererseits hat der Rhythmus etwas Gesunderhaltendes und Heilendes: Der menschliche Körper erholt sich im Schlaf von den Anstrengungen des Tages. Bei der Atmung wird im Einatmen die ständige Versorgung des Körpers und im Ausatmen die Entsorgung sichergestellt.
Erziehen folgt denselben Gesetzen des Pendelschlags. So wie der Stoffwechsel ständig im Menschen ausgeglichen werden muss, so verlangt auch die einseitige Beanspruchung des Kopfs im lernenden Kind nach einem Ausgleich. Unterrichten bedeutet, ständig um das Gleichgewicht im Kind bemüht sein. So ist der Rhythmus ein besonderes Element in der Waldorfpädagogik.
Zudem geben wiederkehrende Rituale und sinnvolle Regeln den Kindern das Gefühl von Sicherheit, Orientierung und Geborgenheit und bilden gleichzeitig die Grundlage eines gesunden, kontinuierlichen Lebensraumes und Lernfeldes in der Schule.