Das bewegte Klassenzimmer

In der 1. und 2. Klasse findet der Unterricht im sogenannten „bewegten Klassenzimmer“ statt. Tische und Stühle gibt es nicht, sondern je zwei Kinder teilen sich eine universell einsetzbare Holzbank. Im Laufe des Unterrichts werden die Positionen verändert. Oft schon vor dem Unterricht meistern die Kinder einen Balancier-Parcour, der in verschiedenen Höhen und Schwierigkeitsgraden aus den Bänken aufgebaut wird. Schnell wird der Raum verwandelt, indem die Bänke zum Kreis aufgestellt werden. Diese Anordnung eignet sich für gegenseitiges Erzählen, gemeinsames Musizieren oder spielerischem Lernen. Geht es in den schriftlichen Arbeitsteil über, so stehen die Bänke in Reihen vor der Tafel und werden zu Tischen umfunktioniert, indem die Kinder auf stabilen Sitzkissen dahinter sitzen. Rasch sind die Bänkchen wieder als Kreis gestellt, so dass gemeinsam gefrühstückt werden und die Kinder sich dabei gegenseitig wahrnehmen können.

Diese Art von Lernen macht sowohl die Kinder als auch die Lehrer beweglich. Mit viel Einfallsreichtum und Empathie gilt es immer wieder unterschiedliche Situationen zu schaffen und diese wieder zur Ruhe zu führen, damit aus äußerer Beweglichkeit inneres Bewegen werden kann.

Einführung der Buchstaben

In der Waldorfschule erarbeiten wir zunächst das Schreiben in einem künstlerischen Prozess. Zu Beginn der 1. Klasse spielt zunächst das Formenzeichnen eine wichtige Rolle. Hierbei werden die Kinder in der Handhabung des Stiftes um einiges geschickter. Die Kinder lernen ihr Blatt einzuteilen und in die Welt der schönen Formen einzutauchen. Außerdem lernen sie, dass alle Buchstaben und Zahlen aus der Gebogenen und/oder Geraden bestehen.

Dann beginnt der Lehrer die Buchstaben einzuführen. So werden nach und nach die Konsonanten in Form von großen Druckbuchstaben, aus Bildern entwickelt, wobei es keine festen Vorgaben gibt, zu welchem Buchstabe welches Bild gehört. Viel wichtiger ist es, dass die Lehrperson sich phantasievoll auf die Suche macht und die Bilder selbst entwickelt oder verinnerlicht hat, damit sie es glaubhaft an die Kinder heranbringen kann. Beispielsweise wäre es kein Bild den Buchstaben G wie Giraffe zu lernen, da das G keineswegs das Bild einer Giraffe ergibt. Jedoch kann man den Buchstaben G sehr gut über das Bild der goldenen Gans (Märchen der Brüder Grimm) vermitteln. Die lange Gebogene lässt das Bild einer Gans aufkommen (siehe Abbild eines Tafelbilds).

Eine andere Möglichkeit der Einführung ist es, die Buchstabenform aus der Bewegung zu gewinnen. Ein Beispiel ist das W, welches aus der wogenden Bewegung der Wellen gewonnen werden kann.

Geht es bei den Konsonanten vor allem um das Bildliche, das Symbolhafte, sollte man bei den Vokalen einen anderen Weg einschlagen, um diese ins Bewusstsein der Kinder zu bekommen. Die Vokale erfordern besonders viel Phantasie und seelische Beweglichkeit, da sie Ausdruck der menschlichen Innenwelt sind. In dem Vokal A steckt das Gefühl des Staunens, so könnte in einer Geschichte, die den Kindern erzählt wird jemand auf einem Berg mit wunderbarer Aussicht stehen und darüber mit ausgestreckten Armen nach oben den Ausruf „Ahhhh“ empfinden.

So werden innerhalb des ersten Schuljahres erst die großen Druckbuchstaben eingeführt und im zweiten Schuljahr dann die kleinen Druckbuchstaben, wobei dies dann nicht mehr so intensiv erarbeitet werden muss. Vielmehr können sie zum Beispiel als die kleinen Geschwister neben die Großen gestellt werden. Beim Einführen der kleinen Buchstaben müssen die Kinder erstmals auf Ober – und Unterlinien achten.

Nach dem Lernen der Buchstabenformen wird viel geschrieben und ab der zweiten Klasse wird an dem Geschriebenen das Lesen geübt. So nehmen die Kinder den Weg über das Tun hin zum Begreifen. Die intellektuellen Kräfte, die man für das Lesen braucht werden so nicht zu früh geweckt, wenn sie nicht schon von Natur aus vorhanden sind, dies wirkt sich positiv auf die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder aus.